Warten auf ...

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Warten auf ...

Marcus Ertle findet seine Interviewpartner an den verschiedensten Orten, und doch haben alle eines gemeinsam: Sie warten gerade auf irgendetwas und Ertle will wissen, worauf.
In 40 Einzelinterviews nähert sich Marcus Ertle der Wahrheit immer sehr schnell und zielstrebig.
Dabei sind es keine berühmten Persönlichkeiten, sondern Zufallsbekanntschaften, die er beim Warten auf... an Straßenecken, Cafes und Bushaltestellen trifft.
Was daraus entsteht, sind überraschende Gespräche, die den Leser mal zum Weinen und mal zum Lachen bringen.

Leseprobe

Warten auf...

...grünes Licht.


Augsburg im April, später Abend, in der Innenstadt sind vereinzelt Passanten unterwegs. An einer Ampel steht eine auffällige Erscheinung: Blub, so wird er von Freunden genannt. Wir kommen ins Gespräch.


Wo kommst du grade her?

Blub: Vom Bahnhof.


Und da hast du..

Blub: Geschnorrt und gesoffen, Drogen nehm ich keine.


Kann man dich als Punk bezeichnen?

Blub: Nö, als linksradikalen Skinhead.


Wo ist der Unterschied zu den Punks?

Blub: Na ja, er sieht eben anders aus als ein Punk, er hat halt keine Haare.


Dann war Kojak auch ein Skinhead.

Blub(lacht): Ja, das war der erste Skinhead, jeder soll eben machen wozu er Lust hat.


Ja, der eine sammelt Briefmarken...

Blub: Und ich sammle Piercings, die sind geil, darauf stehen die Frauen.


Wie bist du überhaupt dazu gekommen, in 'ner Skinheadfamilie aufgewachsen?

Blub: Nö, ich muss sagen, ich war von 1984 an Punk, nur meine Haare wachsen halt nicht mehr so, wie ich 's haben will, dann habe ich paar Skins kennengelernt und jetzt bin ich es immer noch.


Was ist die Lebenseinstellung von einem Skinhead?

Blub: Saufen, saufen, jeden Tag saufen.


Wie beim Ballermann.

Blub: Ballermann sind Idioten.


Ja, wo ist denn der Unterschied?

Blub: Wir schauen ganz anders aus und an den Ballermann könnt ich gar nicht, ich hab Flugangst.


Sonst noch Ängste, vor Spinnen vielleicht, oder Mäusen?

Blub: Nö, ich hab selber zwei Vogelspinnen.


Was machst du eigentlich, wenn du einen rechten Skinhead triffst?

Blub: Dann schlag ich zu.


Kein Gespräch, so von wegen, Mensch, deine Frisur ist okay, aber werd doch links?

Blub: Nein, er hat seine Einstellung und ich habe meine. Wenn ein Linker auf den Rechten trifft, geht es böse aus. Ich hab noch genug Narben davon, deswegen sag ich: Eins aufs Maul und fertig. Ich sag aber normal schon dreimal bitte, wenn ich will, dass jemand mich in Ruhe lässt, wer da nicht reagiert, der verliert.


Wie vertreibst du dir sonst so die Zeit?

Blub: Ich bin ab und zu Security.


Wie sind eigentlich die Mädels in der linken Skinheadszene?

Blub: Eigentlich ganz witzig, aber es gibt in Augsburg kaum welche, nur Punk-Girls.


Wie sieht 's beim linken Otto-Normal -Skinhead mit Frauen aus?

Blub: Ich vergnüg mich mit mir selbst, was soll ich denn sonst machen?


Du kannst ja eine Frau ansprechen.

Blub: Das geht nicht, schau mich mal an, die Ladies, die ich früher kennengelernt habe, die sind alle normal geworden und die anderen sind zu jung. Die Ladies von früher aufreißen, Das wär doch Schwachsinn, echt, die hab ich doch schon gehabt, wozu soll ich die nochmal aufreißen?


Wie, du meinst die Ladies die was taugen hattest du eh schon?

Blub: Ja, wo soll ich da noch hin, ich war in Berlin, in Rostock, in Hamburg, in Cottbus da gibt’s nur Biertschen.


Biertschen?

Blub: Ja, die Mädels, die am Tisch sitzen und Bier trinken.


Wo wärst du jetzt gern?

Blub: Jamaika, da könnt ich einen rauchen.


Am Strand rumliegen ist doch langweilig.

Blub: Langeweile langweilt mich, ich würd mich einfach an den Strand hinlegen, paar Biertschen aufreißen und sagen: Leckt 's mich am Arsch. Deutschland langweilt mich, schau dir das doch an, mit dem Acta und so, das wird im Großen und Ganzen nicht besser.


Bist du glücklich?

Blub: Ja.


Warum?

Blub(lacht:) Ganz einfach, weil ich ein einsamer Wichser bin.


Was ist die Steigerung davon?

Blub: Noch einsamer zu werden.


Ein einsamer Wolf.

Blub: Nein, Wölfe gibt ’s in Deutschland ja so gut wie gar nicht mehr.


Wichser dagegen schon.

Blub: Allerdings!


Schonmal überlegt selbst normal zu werden?

Blub: Ich liebe es anders zu sein.


Warum?

Blub: Weil mir das steht, ich will es nicht anders haben, ich hab keinen Bock drauf in einen Anzug gesteckt zu werden, da wär ich ja in dem Sinn der totale Versager, ich will nicht als Banker enden, sondern als Mensch. Okay, ab und zu trag ich auch einen Anzug, wenn mein Vater Geburtstag hat, da besteht er drauf und am Ende sauft die Verwandtschaft sich einen.


Harmonisches Fest?

Blub: Nö, ich sag denen auch mal, dass sie Idioten sind, mein Vater sagt dann: Du bist der einzige Mensch, der denen Paroli bietet. Aber Familie ist eigentlich schon ganz witzig, einmal in zehn Jahren.


Willst du selbst keine Familie?

Blub: Nein, ich bin untreu, es gibt immer bessere Frauen, auf die man scharf ist.


Hat das Leben einen Sinn?

Blub: Ja, immer älter zu werden und mehr Erfahrung mitzunehmen und umzusetzen, und immer weiterzumachen. Ich lass mich von der monotonen Gesellschaft nichts sagen, man muss standhaft bleiben, auch wenns mal scheiße läuft. Ich will am Ende sagen: Da ist mein Sarg, da leg ich mich jetzt rein, tschüss, war ein wildes, schönes Leben.

» Marcus Ertle, Warten auf ... | Taschenbuch | 204 s. | 9,99 € | ISBN: 978-3-942920-22-3 | Veröffentlichungsdatum: 01.03.2013
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