Hitler und Paul, der Pole, gründen gemeinsam eine WG in einer Wohnung mit einem sehr großen Zimmer, durch das sie quer eine Mauer ziehen.
Nacheinander folgen eine österreichische, eine französische, eine russische, eine englische und weitere Parteien im Haus. Was dann passiert, braucht sich hinter den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs nicht zu verstecken...
Robert Polzar erzählt die äußerst unterhaltsame Geschichte einer WG rund um den schrulligen Hitler. Die Analogie der Ereignisse zum Zweiten Weltkrieg ist natürlich rein zufällig.
Wie auch schon in seinem ersten Buch „Wir sollten dringend weniger zusammen unternehmen“ strapaziert der Autor die Lachmuskeln des Lesers auf seine ganz eigene Art.
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Leseprobe
Bei einem sonnigen Weizen in einem der Lokale am Fluss fragte ich Hitler, ob er jetzt völlig bescheuert geworden sei und wie er das Ganze zu finanzieren gedenke. Er trank ruhig von seinem Bier und schien den Ernst der Frage nicht wirklich ernst zu nehmen. „Wir gründen eine WG“, sagte er, als wäre die Antwort an sich doch völlig offensichtlich. „Das tun wir sowieso schon!“, hielt ich entgegen.
„Dann vergrößern wir sie halt. Ein guter Führer kann auch über viele Völker herrschen.“ Und nahm noch einen Schluck Bier.
„Ein guter Führer vergisst aber nicht, dass die Zimmer völlig WG-ungeeignet sind, eins ist zu klein, eins zu groß und dazu auch noch ein Durchgangszimmer. Wenn du nicht gerade vorhast, Schlafsäle aufzumachen, weiß ich nicht, wie du dir das vorstellst.“
Bei dem Wort „Schlafsäle“ leuchteten die Haare über seinen Augen unangenehm auf, aber zum Glück vertiefte er den Gedanken nicht weiter.
„Was nicht passt, wird passend gemacht.“, belehrte er mich schließlich.
Ah ja, alles klar. „Und wie willst du das anstellen?“
Seine Haare bekamen einen verträumten Schimmer: „Wir bauen eine Mauer!“
„Geschmeidige Mitbewohner für Gründung einer WG unter strenger Führung mit vielen Freiheiten gesucht“, lautete der Text der Anzeige, die wir im Netz schalteten. Diese wenigen Zeilen beschrieben uns besser als alles andere. Sie waren schräg, verwirrt, versuchten kläglich zu imponieren und zeigten gleichzeitig den vielleicht ungewollten, aber unbestreitbar vorhandenen Humor ihrer Anzeigenaufgeber. Es klang nach WG in Reinform und machte keinen Hehl aus dem Wahnsinn, der eventuelle Interessenten erwartete.
Wahnsinn auf wenigen Quadratmetern. Es fing damit an, dass wir mehrere Türen aushängten, weil sie uns im Allgemeinen und Hitlers Plänen im Besonderen im Weg waren. Parallel dazu bauten wir Wände ein, funktionierten andere Wände um und hatten am Ende, statt einer Wohnung mit Küche, Schlafzimmer, Büro und Wohnzimmer, ein Vier-Zimmer-Ungetüm mit einer Küche und einem Multifunktionsflur, wobei wir das große Zimmer so geteilt hatten, dass Hitler auf der Westseite und ich auf der Ostseite lebte, getrennt von einer zarten, selbst angeschraubten Mauer aus dünnen Gipsplatten mit etwas Dämmwolle zwischendrin – fast so wie in der Geschichte.
„Geht doch!“, war Hitlers Kommentar, als wir die letzte Leiste verklebt hatten und unser Werk ehrfürchtig betrachteten. Er klopfte die Hände aneinander ab und ging in die Küche um seinen Waldmeister anzusetzen. In der folgenden Stunde erschien die Anzeige auf den einschlägigen Wohngemeinschaftsseiten im Internet und in der Stunde danach hatten wir bereits 57 Anfragen von potenziellen Mitbewohnern, die sich nach strenger Führung sehnten.
Man muss dazu sagen, dass wir nicht einfach irgendwo wohnten. Wir wohnten mitten in der Stadt und die Stadt mitten im Land. In der Tat hatte der Vermieter uns die sowieso schon bilderbüchliche Lage noch schmackhafter gemacht, als er erzählte, dass der Fluss, an dessen Südseite das Haus angesiedelt war, unter Geographen als natürliche Trennlinie zwischen Nord- und Südeuropa galt und wir uns sozusagen am nördlichsten Zipfel Südeuropas befanden, aber eben immer noch in Südeuropa. Wer hätte so einer Argumentation schon widerstehen können? Aldi hatte seine Grenze übrigens woanders gezogen, also gab es vielleicht etwas, das wir noch nicht wussten, Fakt ist aber, dass die Aldigrenze nicht wirklich weit von uns entfernt war, daher schoben wir den Unterschied auf die Politik und waren sicher, auch Karl hätte gerne da gewohnt, wo wir jetzt wohnten.
Ehe wir uns also selber eingelebt und eine Identität als Kommune entwickelt hatten, mussten wir eine solche nach außen hin vertreten und auch noch die am besten zu ihr passenden Mitglieder aussuchen.
Mit etwas Mühe konnte ich Hitler dazu überreden, bei den Bewerbercastings ohne militärische Insignien aufzutreten und sich nicht zum Spaß einen Schnurrbart wie sein Namensvetter stehen zu lassen, vor allem, weil man den unter den ganzen Haaren ja auch gar nicht sehen würde. Ich war der Meinung, dass der geneigte Durchschnitts-WG-Bewerber mit Hitlers normaler Erscheinung schon überfordert genug sein würde.
Am Ende einer ziemlich anstrengenden Woche zwischen Kastings, Kisten und Kartons hatten wir schließlich zwei ideale Mitbewohner, die auch nach dem Gespräch immer noch willig waren, mit uns zusammen zu leben: Den Marèchal und die Schneekönigin.
Der Marèchal – Österreicher first – kam aus Niederösterreich und würde, das war uns sofort klar, einen angenehm ruhigen Gegenpol zum Rest der Belegschaft bilden, deswegen hatte er sich auch für den Accent Grave über seinem Beinamen entschieden. Er punktete im Gespräch vor allem dadurch, dass er viel zuhörte, beinahe einen festen Job hatte und sich von Hitlers Vorstellung als Hitler nicht verunsichern ließ, obwohl seine eigene Familie aus Braunau stammte, ein Fakt, bei dessen Erwähnung Hitler auf seinem Stuhl ganz hibbelig wurde.
Weniger aus Begeisterung, wie ich vermute, sondern eher, weil er so was wie Enttarnung fürchtete, denn wie dem aufmerksamen Leser schon lange klar sein wird, hieß er in Wirklichkeit gar nicht Hitler, doch dazu später mehr.
Der Marèchal war es auch, der uns die Schneekönigin vorstellte, seine Cousine, was uns die Kombination aus den beiden und uns beiden zusätzlich erleichterte.
Die Schneekönigin bestand im Gegensatz zu ihrem eher stillen, zurückgezogenen und nach außen hin emotionsarmen Cousin zu 95% aus einem Lächeln, das so weiß war wie die Nase von Veronika Ferres auf einer beliebigen Abendveranstaltung. Wenn man sie ansprach, drehte sich ihr Gesicht zum Sprecher und auf diesem Gesicht zog ein Lächeln auf, wie Sonnen in Filmen aus den fünfziger Jahren, in einer atemberaubenden Blende, die einen kurz jeden Kontakt zur eigentlich Filmhandlung verlieren lässt. Blinded by the smile wollte man sich am liebsten zum Fuße des Lächelns begeben, sich dort einkuscheln, in Fötushaltung am Daumen nuckeln und gelegentlich „Mama“ vor sich hin nuscheln, während die Mutter aller menschlicher Wärme über einen wachte und einen beschützte.
Selbst Hitler wurde nach seiner offensichtlichen Nervosität bei der Vorstellung des Marèchal ungewöhnlich ruhig und bewegungsarm, seine Haare hingen kraftlos oder entspannt in nur ganz leichten Wellen herab, statt, wie sonst, in gespannten Locken die ganze Zeit auf und ab zu federn und außer einem gelegentlichen „Humpf!“ hörte man minutenlang keinen Ton von ihm, während die Schneekönigin uns etwas über sich erzählte, das zumindest ich in weniger als Sekundenbruchteilen schon längst wieder vergessen hatte, wobei ich versuchte, so viel von diesem Lächeln abzubekommen, als sei ich ein deutscher Angestellter, der es nach fünf Jahren Durcharbeiten zum ersten Mal wieder an einen Strand am Mittelmeer geschafft hat und entschlossen ist, erst wieder zu gehen, wenn er die Mittelmeersonne wenigstens in kleinen Portionen in seinen Hautzellen mit nach Hause nehmen kann.
Ja, ich saß neben Hitler und versuchte, braun zu werden.